Hätten wir nicht anderthalb Stunden vor unserer Reservierung bei Atsuta Horaiken gehabt, wären wir wahrscheinlich an diesem unauffälligen kleinen Café in den Seitenstraßen vorbeigelaufen – dem Kissa Miyamachi.
Von außen sieht es aus wie ein charmantes, altes japanisches Haus – kein auffälliges Schild, nur eine schlichte Laterne mit dem Namen „Miyamachi“, die still am Eingang hängt. Dieses versteckte Café in Nagoya verbindet Geschichte, Architektur und kulinarische Kultur auf einzigartige Weise – ein perfektes Beispiel für Japans sogenannte versteckte Café-Kultur (Kakurega).
Dieses über hundert Jahre alte, traditionell japanische Holzhaus war einst ein Ryokan und verströmt noch heute den Charme vergangener Zeiten. Von den Gittertüren und dem Ziegeldach bis hin zu den verwitterten Fensterrahmen – jedes Detail erzählt leise seine Geschichte.
Zunächst zögerten wir am Eingang, unsicher, ob es sich um ein Café oder vielleicht um ein altes Ryokan handelte. Die schlichte Fassade verriet kaum, was sich dahinter verbirgt. Erst als zwei ältere Damen hinausgingen und kurz die Tür öffneten, konnten wir einen Blick ins Innere werfen – ein warmes, einladendes Ambiente, das uns sofort in seinen Bann zog. Wir traten ein, und dieses versteckte Juwel wurde schnell zur schönsten Überraschung unserer gesamten Reise nach Nagoya.
Vom historischen Ryokan zum modernen Café – eine liebevolle Jahrhundert-Transformation
Um dieses Café wirklich zu würdigen, sollte man zuerst die Geschichte des Gebäudes kennen, das es beherbergt.
Das Bauwerk war ursprünglich ein bekanntes, historisches Ryokan namens Isekyu(伊勢久). Es stammt aus der Edo-Zeit (1603–1868) und diente einst als Gasthaus für reisende Händler und Samurai. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Haus immer wieder gewandelt: Es war zeitweise ein einfaches Geshukuya (Pensionshaus mit Mahlzeiten), ein Männerwohnheim und sogar kurzzeitig ein Klassenzimmer einer Grundschule. Wie ein lebendiges Tagebuch spiegelt das Gebäude die Veränderungen der Zeit wider und hat Schicht um Schicht Geschichte gesammelt.
Während der Edo-Zeit war der Tokaido Japans wichtigste Verkehrsader, die Edo (das heutige Tokio) mit Kyoto verband – über eine Strecke von rund 490 Kilometern. Entlang dieser Route befanden sich 53 offizielle Poststationen, die zusammen als Tokaido Gojusan-tsugi (東海道五十三次) bekannt waren. Diese Orte dienten nicht nur als Raststätten, sondern spielten auch eine zentrale Rolle in Logistik, Kommunikation und Wirtschaft.
Eine der größten und bedeutendsten dieser Stationen war Miya-juku, im heutigen Stadtteil Atsuta in der Präfektur Aichi. Entlang des Hori-Flusses gelegen und in der Nähe des strategisch wichtigen Fährhafens Shichiri-no-Watashi, entwickelte sich Miya-juku zu einem lebhaften Handels- und Verkehrszentrum. Laut einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1843 (Tenpō 14) befanden sich dort 247 bis 248 Gasthäuser, die feudale Fürsten, ihre Gefolgsleute und Reisende aus ganz Japan beherbergten.
Im Rahmen des Sankin-kotai-Systems – der Residenzpflicht der Fürsten – diente Miya-juku als offizieller Rastort für reisende Daimyo (Feudalherren). Selbst Shogun Tokugawa Iemitsu soll hier übernachtet haben. In der Umgebung befanden sich mehrere offizielle Gästehäuser, die von der Regierung betrieben wurden und hochrangigen Samurai und Würdenträgern vorbehalten waren. Obwohl Isekyu keines dieser staatlichen Anwesen war, gehörte es dennoch zu den größten und angesehensten Gasthäusern in Miya-juku und war als Waki-Honjin – ein Nebengasthaus für Adelige und hochrangige Beamte – offiziell anerkannt.
Honjin und Waki-Honjin:
Ein Honjin war die ranghöchste Unterkunft in den Poststationen der Edo-Zeit, ausschließlich für Regierungsbeamte und Daimyo reserviert.
Ein Waki-Honjin diente als Ausweichquartier des Honjin und beherbergte ebenfalls hochrangige Gäste, war aber etwas einfacher ausgestattet. Beide waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Nach dem Ende der Edo-Zeit und dem Wegfall der Daimyo-Reisen entlang des Tokaido verlor Miya-juku nach und nach an Bedeutung. Isekyu verfiel und stand kurz vor dem Abriss – bis es glücklicherweise von der Atsuta Horaiken-Gruppe erworben und liebevoll restauriert wurde. Dank ihres Engagements wurde das Gebäude 1984 als materielles Kulturgut der Stadt Nagoya ausgezeichnet. Heute ist es eines der wenigen erhaltenen historischen Bauwerke in Nagoya aus der Zeit von Miya-juku und ein eindrucksvolles Zeugnis des reichen kulturellen Erbes des Tokaido.
Atsuta Horaiken lässt Isekyu wiederaufleben
Nach dem Erwerb renovierte die Atsuta Horaiken-Gruppe das Anwesen mit größtem Respekt vor den Richtlinien des Denkmalschutzes. Heute befindet sich im Erdgeschoss das Café Kissa Miyamachi, während im Obergeschoss das elegante Kaiseki-Restaurant Goryori Isekyu Hōkairō untergebracht ist. Durch diese behutsame Restaurierung lebt der Ort weiter und bietet Besucherinnen und Besuchern eine besondere Möglichkeit, mit Nagoyas Geschichte und kulinarischem Erbe in Verbindung zu treten.
Design-Highlights: Edo-Holzarchitektur trifft Taisho-Romantik
Betritt man das Kissa Miyamachi, wird man sofort von der Wärme eines alten japanischen Hauses umhüllt. Im Inneren finden sich mächtige Holzbalken aus der Edo-Zeit, dicke Türrahmen aus Naturholz, Böden aus Stein und feinem Kies sowie die typischen Gittertüren und Fenster eines traditionellen Ryokan. Diese Elemente sorgen für Licht, Luftzirkulation und zugleich Privatsphäre. Die Lehmwände tragen eine wunderschöne, gealterte Patina, und die hohen Decken verleihen dem Raum ein Gefühl von Ruhe und Weite. Das Personal ist ausgesprochen herzlich – und spricht fließend Englisch –, was den Aufenthalt besonders angenehm macht.
Hinter der Bar öffnet sich ein kleiner, offener Innenhof – eine symbolische Nachbildung der historischen Tokaido-Straße. Jedes Element hat Bedeutung: Der „Handwaschstein“ steht für den Atsuta-Schrein, die Steinlaterne symbolisiert den Fährhafen Mi-no-Watashi, und die umlaufenden Mauern erinnern an das Suzuka-Gebirge. Diese stille Erzählweise verleiht dem Raum Tiefe und Gelassenheit und bewahrt zugleich die traditionelle Anordnung des Hauses.
Das Interieur vereint historischen Charme mit den feinen Akzenten der Taisho-Romantik – einer harmonischen Verbindung westlicher und japanischer Ästhetik aus der Taisho-Zeit. Lange Gemeinschaftstische aus Holz, klassische Bugholzstühle, Vintage-Pendelleuchten im Retro-Stil, gerahmte westliche Kunstwerke und feine Dekorationselemente schaffen eine warme, vielschichtige Atmosphäre. Jedes Detail wurde liebevoll aufeinander abgestimmt: Die Handtücher auf den Tischen stimmen farblich mit dem Geschirr überein, die Teller und Tassen stammen aus feinem Porzellan der Traditionsmarke Noritake aus Nagoya, und das Besteck ist von Laguiole. Selbst die Wassergläser tragen das Emblem des Cafés. Und in den Waschräumen wartet edle Aesop-Handseife – eine dezente, aber luxuriöse Note, die den gehobenen Anspruch des Hauses widerspiegelt.
Taisho-Romantik: Ein Designstil aus Japans Taisho-Zeit (1912–1926), bekannt für seine elegante Verbindung westlicher und japanischer Ästhetik.
Noritake-Porzellan: Eine Traditionsmarke aus Nagoya, berühmt für hochwertiges Bone-China, das auch in japanischen Botschaften und bei offiziellen Anlässen verwendet wird.
Im Obergeschoss: Goryori Isekyu Hōkairō Kaiseki-Restaurant
Nachdem wir unten eine entspannte Zeit verbracht hatten, siegte unsere Neugier – wir fragten das Personal, ob wir einen kurzen Blick nach oben werfen dürften. Obwohl der Bereich offiziell noch nicht geöffnet war, bot uns ein freundlicher Mitarbeiter großzügig eine private Führung an. Wir nahmen den Aufzug nach oben, obwohl sich gleich neben dem Eingang auch eine Treppe befindet. Oben werden die Gäste gebeten, in Hausschuhe zu wechseln, bevor sie die Räume betreten. Nach einer kurzen, herzlichen Einführung durften wir uns frei umsehen.
Im zweiten Stock befindet sich ein japanisches Kaiseki-Restaurant, das nur mit Reservierung zugänglich ist. Hier werden kunstvoll arrangierte Mehrgangmenüs serviert – in einem Ambiente, das die ruhige Atmosphäre des Cafés im Erdgeschoss widerspiegelt. Die Innenräume sind mit kunstvoller Holzarbeit, Gitterfenstern, Lehmwänden und hohen Decken gestaltet. Im Gegensatz zum gemütlichen Café unten ist die Stimmung hier eleganter und formeller, geschmückt mit großen Papierlaternen, traditionellen Bonbori-Leuchten (wie sie bei japanischen Festen verwendet werden) und Leuchten mit Shippo-Muster. Jedes Lichtobjekt ist sorgfältig gewählt und greift das Thema des Willkommens für Reisende entlang der historischen Poststraßen auf.
Das eigentliche Highlight? Ein privater Speiseraum mit bodentiefen Fenstern, der einen atemberaubenden Blick auf die Ruinen des Fährhafens Shichiri-no-Watashi bietet – mit dem historischen Wachturm und dem offenen Wasser im Hintergrund. Hier zu speisen ist ein Fest für alle Sinne. Es heißt, dass jedes Gericht mit Geschichten serviert wird – lokale Legenden, kulturelle Bezüge oder Präsentationen, die von der Tokaido-Straße inspiriert sind. Selbst die Desserts greifen manchmal Motive aus der Geschichte von Miya-juku und dem Tokaido auf und machen jede Mahlzeit zu einem Erlebnis, das Körper und Seele gleichermaßen nährt.
Speisekarte im Kissa Miyamachi
| Pasta – Nudelgerichte | |
|---|---|
| Shirasu und Bottarga Peperoncino | ¥1.600 |
| Schneekrabbe und Krabben-Miso Aglio e Olio | ¥1.900 |
| Garnelen und Basilikum-Tomatenpasta | ¥1.700 |
| Prosciutto- und Pilzrahmpasta | ¥1.600 |
| Steinpilzrahmpasta | ¥1.700 |
| Trüffel-Carbonara | ¥1.800 |
| Desserts & Süßspeisen | |
| Miyamachi-Pudding | ¥650 |
| Kaffeegelee | ¥650 |
| Vanilleeis | ¥400 |
| Matcha-Eis | ¥400 |
| Erdbeer-Eis | ¥400 |
| Kaffee & Tee | |
| Hausmischung Kaffee (heiß / eisgekühlt) | ¥700 |
| Café au Lait (heiß / eisgekühlt) | ¥700 |
| Earl-Grey-Tee (heiß / eisgekühlt) | ¥800 |
| Darjeeling-Tee (heiß / eisgekühlt) | ¥800 |
| Japanischer Schwarztee – Tanegashima (heiß / eisgekühlt) | ¥800 |
| Milchtee (heiß / eisgekühlt) | ¥900 |
| Zitronentee (heiß / eisgekühlt) | ¥900 |
| Hausgemachte Getränke | |
| Hausgemachte Cola | ¥700 |
| Hausgemachtes Ginger Ale | ¥700 |
| Alkoholfreie Getränke | |
| Grüner Tee | ¥450 |
| Oolong-Tee | ¥450 |
| Calpis | ¥450 |
| Apfelsaft | ¥500 |
| Mandarinensaft | ¥500 |
| Traubensaft | ¥500 |
| Ginger Ale | ¥500 |
| Coca-Cola | ¥500 |
| Sprudelwasser (Dry Zero) | ¥500 |
| Perrier Mineralwasser | ¥600 |
| Alkoholfreies Bier (Dry Zero) | ¥600 |
| Alkoholfreier Sekt, trocken (Joëa Organic Chardonnay) | ¥800 |
| Bio-Traubensekt, trocken | ¥900 |
| Alkoholische Getränke | |
| Bier vom Fass (Super Dry) | ¥900 |
| Flaschenbier | ¥800 |
| Weinglas (Rot / Weiß) | ¥800 |
| Sekt | ¥900 |
| Highball | ¥1.000 |
| Frybread-Spezialitäten | |
| Honig-Butter-Frybread | ¥900 |
| Schokolade und Nuss-Frybread | ¥1.100 |
| Erdbeer- und Rote-Bohnen-Frybread | ¥1.600 |
| Matcha-Custard-Frybread | ¥1.400 |
| Gebackenes Apfel-Frybread | ¥1.500 |
| Eggs-Benedict-Frybread | ¥1.400 |
| Roastbeef-Sandwich-Frybread (limitiert) | ¥1.800 |
| Frybread-Toppings | |
| Rote-Bohnen-Paste | ¥200 |
| Vanille-Creme | ¥200 |
| Eiskugel (Vanille / Matcha / Erdbeere) | ¥200 |
| Honig | ¥100 |
* Alle Preise verstehen sich inklusive Mehrwertsteuer (Stand: 2025) und können sich ändern.
Kissa Miyamachi | Empfehlungen & Highlights
Eines der beliebtesten Gerichte im Kissa Miyamachi ist das hausgemachte Fried Bread – inspiriert vom traditionellen Native-American-Frybread. Es wird aus lokalem Aichi-Weizen hergestellt, bei niedriger Temperatur langsam fermentiert und anschließend goldbraun gebacken – außen knusprig, innen weich und leicht süßlich. An diesem Tag haben wir es ausgelassen, zugunsten unseres reservierten Unagi-Dinners – ein kleiner Fehler, wie sich später herausstellte.
Das charakteristische Frybread gibt es sowohl in süßen als auch in herzhaften Varianten. Besonders beliebt ist die gebackene Apfelversion, serviert mit Vanilleeis und Honig – heiß auf einer gusseisernen Platte. Eine weitere Variante ist das Eggs-Benedict-Frybread mit pochiertem Ei, Sauce Hollandaise, Speck und Salat – perfekt für den Brunch. Für alle, die es kräftiger mögen, empfiehlt sich das Roastbeef-Sandwich-Frybread: aromatisch gewürzt, mit Gurken und Senf serviert. Saisonale Sorten wie Matcha, Käse oder rote Bohnenpaste werden ebenfalls regelmäßig angeboten. Die Preise liegen meist zwischen ¥900 und ¥1.500.
Wir entschieden uns schließlich für zwei Getränke und eines der beliebtesten Desserts – den Miyamachi-Pudding. Wer Retro-Puddings im Shōwa-Stil (Japan der 1950er bis 1970er Jahre) liebt, sollte ihn unbedingt probieren. Seine dichte, cremige Textur und der reiche Eiergeschmack verbinden sich mit genau der richtigen Süße. Die Karamellsauce wird separat serviert, sodass man den Süßegrad individuell anpassen kann. Der erste Löffel – samtig, fest, leicht bitter und duftend – versetzt einen augenblicklich in eine vergangene Zeit. Ein nostalgisches Dessert, das lange im Gedächtnis bleibt.
Weitere Empfehlungen & beliebte Gerichte
- Pasta-Gerichte: Besonders zu empfehlen sind die Garnelen-Basilikum-Tomatenpasta oder der Shirasu-und-Bottarga-Peperoncino.
- Salate & leichte Gerichte: Zum Beispiel Parmaschinken-Salat oder saisonales Gemüse mit hausgemachtem japanischem Dressing.
- Getränke: Frisch gebrühter Kaffee, Café Latte serviert in Noritake-Bone-China, hausgemachtes Ginger Ale, rosa Grapefruitsaft, hausgemachte Signature-Cola, Bier vom Fass und Weißwein.
Café-Informationen
| Café-Name | Kissa Miyamachi(みやまち) |
|---|---|
| Adresse | 913 Kanbe-cho, Atsuta-ku, Nagoya, Präfektur Aichi (etwa 11 Gehminuten vom Bahnhof Tenma-cho entfernt) |
| Telefon | 052-682-5161 |
| Öffnungszeiten | 10:30–15:30 Uhr (Letzte Bestellung um 15:00 Uhr) |
| Ruhetage | Mittwoch und Donnerstag (Änderungen an Feiertagen möglich) |
| Parken | Ja, etwa 10 Parkplätze östlich des Gebäudes, nur 1–2 Gehminuten entfernt. |
| Zahlung | Bar, Kreditkarte und mobile Zahlungen (inklusive QR-Code) |
| @miyamachi.isekyu |
Fazit & persönlicher Eindruck
Kissa Miyamachi ist weit mehr als nur ein Ort, um die Wartezeit auf einen Tisch bei Atsuta Horaiken zu überbrücken – es ist eine kleine Oase der Ruhe, ein Ort, an dem man entspannen, die Atmosphäre des liebevoll erhaltenen historischen Hauses genießen und sorgfältig zubereitete Speisen und Getränke kosten kann. Ob beim Kaffee an der Bar, beim Genießen eines nostalgischen Puddings oder beim Probieren der saisonalen Frybread-Kreationen – das Erlebnis hier ist ruhig, herzlich und authentisch. Mit warmem Service, ruhiger Umgebung und fairen Preisen ist es ein Ort in Nagoya, den man nicht nur in Erinnerung behält, sondern zu dem man gerne immer wieder zurückkehrt.